Mitarbeiterbefragungen (MAB) gehören zu den am häufigsten verwendeten Instrumenten der Organisationsführung und -entwicklung. Zahlreiche Unternehmen setzen MAB ein, um aus Perspektive ihrer Mitarbeiter beispielsweis Informationen zur Arbeitsmotivation oder Einschätzungen des Organisationsklimas zu erhalten und darauf basierende Folgeaktivitäten zu entwickeln. Professionell aufgesetzte MAB liefern eine zuverlässige Datenbasis, um strategische Schwachstellen der Arbeit im Unternehmen zu identifizieren. Personalverantwortliche sind an dieser Stelle mit der Frage konfrontiert, wie sie trotz beschränkter Ressourcen aus dem gängigen HR-Standard ein wirksames Instrument machen können. Hier einige grundlegende Hinweise.
Make or buy? Die Qualität der Befragung entscheidet über die Qualität der Ergebnisse
Professionell konzipierte und durchgeführte MAB können zuverlässig die Einstellungen, Wünschen und Erwartungen der Mitarbeiter an ihr Unternehmen, ihre Kollegen und Führungskräfte messen. „Mitarbeiterbefragungen liefern ein objektiviertes Bild, das auf vielen subjektiven Wahrnehmungen beruht. Diese Wahrnehmungen bilden in Summe die organisationale Realität der Mitarbeiter ab. Mitarbeiterbefragungen bieten also die Möglichkeit, die (von den Mitarbeitern) wahrgenommene Realität in der Organisation abzubilden und darauf aufbauend an Verbesserungen zu arbeiten“ (Frieg e.a. 2015, 2). Die in einer MAB gewonnen Daten und Zahlen können aber nur dann helfen, Probleme und Optimierungsfelder zu identifizieren, einzuordnen und lösungsorientiert anzugehen, wenn die Befragung einen klaren Praxisbezug durch transparente und berufsbezogene Aussagen aufweist und zugleich wissenschaftlichen Standards und Gütekriterien entspricht.
Während der erste Punkt noch dafür sprechen könnte, dass Unternehmen eine MAB mit Bordmitteln und in Eigenregie durchführen, deuten die methodischen Anforderungen an eine aussagekräftige MAB doch klar in die Richtung, sich Befragungskompetenz einzukaufen. Damit eine MAB sinnvolle, strukturierte und statistisch verwertbare Daten liefert, muss der Fragebogen zunächst einmal relevante und inhaltlich valide Themen abdecken und differenzierbare Fragen stellen. Das heißt konkret, dass die Themenschwerpunkte einer MAB die Leistungsgrenzen des Instruments berücksichtigen und die einzelnen Fragen die zu erhebende Problematik unmissverständlich abbilden müssen, um Ansatzpunkte für wirklich relevante Veränderungsmaßnahmen liefern zu können.
Themenschwerpunkte an der Leistungsfähigkeit einer MAB ausrichten
Als Beispiel für aufschlussreich erhebbare Themenschwerpunkte sind mitarbeiternahe Aspekte wie Führung, Informationspolitik, Arbeitszufriedenheit, Betriebsklima oder Leistungsbeurteilung und Vergütung zu nennen. Wenn hingegen Themen der strategischen Organisationsentwicklung gefragt sind, ist die Leistungsgrenze von MAB ausgereizt. So sind Einstellungen, Wünsche und Erwartungen der Mitarbeiter nicht als Datengrundlage für komplexe Strategieentscheidungen geeignet. Das Instrument der MAB ist in diesem Fall erst in Form einer ex post Bewertung hilfreich, die die von den Mitarbeitern wahrgenommenen Effekte strategischer Veränderungsmaßnahmen fokussiert. Das heißt, die Themen müssen sich auf den Erlebens- und Erfahrungshorizont der Befragten konzentrieren.
Fragen unmissverständlich und präzise formulieren
Außerdem ist die Detailformulierung der Fragen entscheidend für die Aussagekraft der erhobenen Daten. Wenn beispielsweise die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Zusammenarbeit im Unternehmen erfasst werden soll, muss die Referenzgruppe (z.B. „in Ihrem Team“) klar benannt werden. Andernfalls ist zu erwarten, dass die Antworten nicht mehr vergleichbar sind, weil die Befragten – je nach Position und Aufgabe – für sich unterschiedliche Bezugsrahmen annehmen. Ein anderes Beispiel einer zunächst scheinbar präzise Frage/Aussage: „Die Arbeitszeitregelungen geben mir genügend Spielraum, eine Balance zwischen Arbeit und Privatleben zu finden“. Mitarbeiter werden hier ggf. zustimmen, weil das Unternehmen Möglichkeiten zum Überstundenabbau anbietet, obwohl sie diese aufgrund ihres persönlichen Arbeitseinsatzes nie in Anspruch nehmen. Wer als Führungskraft aufgrund solcher Antworten meint, die vielbeschworene „work-life-balance“ sei in Ordnung, kann offenkundig völlig schief liegen.
Neben dem Fachwissen zu Themenschwerpunkten und differenzierungsfähigen Fragen spricht für das Engagement externer Beratung schließlich noch ein damit verbundener Vorteil gegenüber Befragungen in Eigenregie: die Anonymität der Datenerhebung und –Auswertung als Voraussetzung für rege Mitarbeiterbeteiligung und aufrichtige Antworten ist durch Externe glaubwürdiger zu gewährleisten.
Individuelle oder standardisierte MAB? Nicht nur eine Frage des Budgets
Wer sich vor diesen Hintergründen entscheidet, aus Qualitätsgründen externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen, steht vor einer weiteren entscheidenden Weichenstellung: soll die Befragung individuell oder standardisiert sein? Für eine individuelle Lösung spricht zunächst die Möglichkeit, die Situation und Probleme des Unternehmens im Detail abzubilden. Allerdings erscheint es fraglich, ob das für eine Erhebung des wahrgenommenen Klimas und der Zufriedenheit überhaupt zielführend ist. Unternehmen brauchen zunächst einen strategischen Überblick, um präzise zu erkennen, was sie verändern müssen. Detailantworten auf die Frage, wie die notwendigen Veränderungen genau aussehen sollen, kann kein noch so individueller Fragebogen geben.
Für wirksame Schlussfolgerungen führt also kein Weg am Dialog mit den Betroffenen vorbei. Zugleich liegt ein Nachteil individueller MAB auf der Hand: sie sind bei vergleichbarer Qualität teurer als standardisierte Befragungen. Schwerer als das Kostenargument wiegt bei individuellen MAB aber der Verlust der Benchmark-Fähigkeit. Denn bei individuellen Verfahren ist der sonst übliche Vergleich mit Referenzgruppen außerhalb des Unternehmens nicht möglich. Dieser Vergleich unterstützt die Verantwortlichen aber dabei, Ergebnisse angemessen zu interpretieren und Problemfelder zuverlässig zu erkennen und zu gewichten. Auch wenn aus meiner Sicht fast alles für die Nutzung eines guten Standards spricht, bieten zahlreiche Beratungsunternehmen sowohl individuelle als auch standardisierte MAB an.
FEO und BIMO – pragmatische wissenschaftsbasierte Standards
Individuelle oder standardisierte MAB: für beide Formen sind immense Preisunterschiede zwischen verschiedenen Anbietern zu beobachten. Schaut man sich die Angebote näher an, sind signifikante Unterschiede beim Fragenumfang und Detaillierungsgrad der Datenerhebung und –Auswertung festzustellen. Die aktuelle Marktübersicht der Fachzeitschrift Personalwirtschaft sorgt daher eher für Überblick als für Durchblick. Und es fehlt eine nach meiner Erfahrung besonders für mittelständische Unternehmen interessante, preislich attraktive und methodisch zuverlässige Variante der standardisierten MAB: der wissenschaftlich fundierte und mit rund 10.000 Referenzdaten hinterlegte Fragebogen zur Erfassung des Organisationsklimas (FEO – als Papier- oder Internetversion). Auf Basis der Ergebnisauswertungen erhalten die Verantwortlichen wertvolle Hinweise für die Folgeaktivitäten der Befragung. Beginnend mit der Ergebnispräsentation für die Geschäftsleitung lassen sich Workshops auf Management- und Mitarbeiterebene bis hin zu problemspezifischen Programmen pragmatisch ableiten.
Ebenfalls eine gute und mit dem FEO in Kernaspekten (Wissenschaftlichkeit, Praxistauglichkeit, Referenzdaten) vergleichbare Alternative stellt das Bochumer Inventar zu Mitarbeiterzufriedenheit und Organisationsklima (BIMO) dar. In der aktuellen Forschungsversion bietet das BIMO die Möglichkeit, die standardisiert erfassten 115 Items (Fragen) durch individuelle Fragestellungen zu ergänzen (ca. zehn Items). Das Verfahren vereint somit die Vorteile individueller und standardisierter MAB. Die Option, individuelle Fragen zu ergänzen ist besonders für solche Unternehmen interessant, die mehr darüber erfahren wollen, wie bereits umgesetzte Veränderungen beispielsweise in der Unternehmensorganisation oder im Projektmanagement von den Mitarbeitern erlebt und bewertet werden.
Lohnt sich der ganze Aufwand?
Auch die beiden pragmatischen und wissenschaftsbasierten Standards bieten keine MAB zum Schnäppchenpreis und entheben Führungskräfte nicht vom Dialog mit ihren Mitarbeitern und der Arbeit der Organisationsentwicklung. Insofern wird sich der eine oder andere fragen, ob sich der mit einer wirksamen und aussagekräftigen MAB verbundene Aufwand überhaupt lohnt. Denn gute Führungskräfte wissen doch, wie die Stimmung im Unternehmen ist und was die Mitarbeiter eigentlich umtreibt. Und ist so eine Befragung nicht sogar eher ein Zeichen für eine gestörte Kommunikation im Unternehmen und die Orientierungslosigkeit der des Managements?
Dem lässt sich nur entgegnen, dass Führungskräfte auch in Unternehmen mit einer offenen Kommunikationskultur nicht „allwissend“ sind – besonders wenn es um ein objektiviertes Bild der Mitarbeiterwahrnehmungen geht. Einzeln Stimmen und Feedbacks sind eben „nur“ subjektiv und ergeben kein interpretationsfähiges und handlungsleitendes Gesamtbild. Und falls die Kommunikation im Unternehmen tatsächlich gestört sein sollte, ist eine MAB zwar noch längst keine „Dialogoffensive“, aber immerhin ein Anfang und eine Grundlage für eine wertschätzende Mitarbeiterkommunikation. In beiden Fällen entscheidet über die Wirksamkeit der MAB aber letztendlich der Umgang mit den ggf. „schlechten“ Ergebnissen, die Offenheit für Kritik und die Konsequenz und Transparenz der Folgeaktivitäten. Doch braucht man ein klares Bild der von Mitarbeitern wahrgenommenen Schwachstellen der Arbeit im Unternehmen haben -auf Grundlage einer belastbaren Datenbasis.
An MAB als Instrumenten einer strukturierten Organisationsführung und –entwicklung führt damit kein Weg vorbei. Aber es lohnt sich nur dann, wenn man es professionell anpackt.