Für Führungskräfte und Mitarbeiter eine oft ungeliebte Pflichtveranstaltung
Zahlreiche Unternehmen haben in den vergangenen Jahren jährliche Mitarbeitergespräche (JMG) als Führungsinstrument “entdeckt” und eingeführt. Durch die routinierte Wiederholung müssten mittlerweile Anlaufprobleme beseitigt und alle Beteiligten von den Vorteilen des Konzepts überzeugt sein. Ebenso müssten Nutzen und Erfolge der Gespräche die damit verbundenen Transaktionskosten eindeutig überwiegen.In vielen Fällen scheint aber weder das eine noch das andere zuzutreffen. Denn das JMG ist für zahlreiche Führungskräfte und Mitarbeiter eine oft ungeliebte Pflichtveranstaltung. Grund genug, Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen von JMG erneut abzuwägen.
Ersatzlos streichen oder Augen zu und durch – zwei schlechte Optionen
Wie bei vielen anderen HR-Instrumenten (leistungsbezogene Vergütung; Belohnungs- und Anreizsysteme; Potenzialbeurteilung; Karriere- oder Laufbahnplanung etc.) sind auch JMG von großen in kleine Unternehmen und vom privaten in den öffentlichen Sektor diffundiert. Vorraussetzungen, organisationale Rahmenbedingungen oder die mit dem JMG verbundenen Zielsetzungen wurden aber bei der Einführung des Instruments vielfach nicht ausreichend geklärt. Und selbst wo das mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall war, rücken Unternehmen zumindest von Teilen des Konzepts ab. „Laut einer Umfrage der US-Managementberatung CEB haben inzwischen immerhin sechs Prozent aller „Fortune“-500-Unternehmen interne Rankings komplett abgeschafft – quer durch sämtliche Branchen. Im Jahr 2012 verkündete Donna Morris, Personalchefin des Softwarekonzerns Adobe, das Aus der Mitarbeitergespräche. Die Angestellten seien die Unterredungen leid, die Gespräche nutzlos.“
Manche Kritiker der JMG werden sich durch solche Meldungen bestätigt sehen und fordern, Jahresgespräche ersatzlos zu streichen. Angesichts zahlreicher Studien, die zeigen, dass Mitarbeiter mehrheitlich eine offene Kommunikation und ein ehrliches Interesse an ihren persönlichen Problemen vermissen, ist das eine denkbar ungünstige Option. Denn der Mangel an „offener Kommunikation“ wird nicht dadurch beseitigt, dass Unternehmen einen Anlass ersatzlos entfallen lassen, der Mitarbeitern wenigstens einmal pro Jahr die Chance gibt, mit ihrem Vorgesetzten mehr als belanglose Floskeln auszutauschen.
In vielen Unternehmen – besonders solchen mit einer starken zentralen HR-Organisation – haben Führungskräfte auch gar nicht die Entscheidungsmacht, die JMG ausfallen zu lassen. Hier wird dann aus unterschiedlichen Gründen (Mangel an Zeit, Engagement, Qualifikation o.ä.) vielfach die zweite Option des Augen zu und durch praktiziert. Das erscheint naheliegend und verständlich, ist aber angesichts des hohen Frustrationspotenzials für beide Seiten offenkundiger Unfug. Stattdessen geht es darum, innerhalb des festgefügten Organisationsrahmens die Qualität der geführten Gespräche zu verbessern. Dazu gibt es eine Fülle an Ratgebern, die zumindest helfen können, das Problembewusstsein zu schärfen und die gröbsten Fehler zu vermeiden.
JMG intensiv auf Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen abwägen
Führungskräfte und Personaler mit Einfluss auf organisationale Abläufe sollten die kritischen Stimmen aus dem eigenen und anderen Unternehmen zum Anlass nehmen, das Konzept der JMG noch einmal intensiv auf Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen abzuwägen. Armin Trost, Professor für Human Resource Management an der Hochschule Furtwangen, weist in einem aktuellen Aufsatz auf die sonst nicht viel beachteten Risiken und Nebenwirkungen der JMG hin. „Als Instrument, das die Führungsqualität erhöhen will, wirkt es gerade bei jenen Führungskräften negativ, die schon vor der Einführung eine gute Führungsqualität an den Tag legten. Das klingt kontrovers, vedeutlicht aber die psychologische Komplexität dessen, was das Gespräch am Ende auslösen kann.“
Dazu zählt Trost u.a. den Vertrauensverlust in die Führungskraft, die im JMG schnell in eine „Richterrolle“ gedrängt wird. Während diese Rolle zu traditionell hierarchischen Strukturen passt, sind Führungskräfte in modernen Netzwerkorganisationen eher über ihre Qualitäten als Coach, Partner oder Befähiger definiert. Und selbst wenn das Vertrauensverhältnis von Mitarbeiter und Führungskraft nicht fundamental gestört wird – JMG haben kaum die Chance, Vertrauen, Kooperationsfähigkeit oder Engagement zu stärken. „Sobald ein Mitarbeiter weiß, dass das, was er in einem formalen Gespräch sagt, ´für oder gegen ihn verwendet´ werden kann, ist ein vertrauensvolles Gespräch kaum noch möglich.“
Varianten und Alternativen zur bisherigen Praxis der JMG
Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, das Ritual der JMG noch einmal gründlich zu prüfen. Um Varianten und Alternativen zur bisherigen Praxis der JMG zu entwickeln, sind aus meiner Sicht beispielsweise folgende Fragen hilfreich:
- Wie passt das Konzept der JMG zu einer erfolgreiche Führungspraxis in ihrem Unternehmen?
- Was sollen die JMG in ihrem Unternehmen erreichen und können sie das leisten?
- Welchen Nutzen erzielen die JMG und welche alternativen Wege gibt es dahin?
- Welche für die JMG unterstützenden Instrumente können Sie mit sinnvollem Aufwand in ihrem Unternehmen betreiben und unterstützt das alles die erfolgsrelevanten Faktoren?
Um die eigentlichen Ziele der JMG zu erreichen, wie Feedback, Zielklärung, Reflexion von Entwicklungsbedarf oder die Honorierung herausragender Leistungen schlägt Trost vor, die Verantwortung dafür viel stärker in die Hände der Teams und Mitarbeiter zu legen. Aus meiner Sicht muss die jeweilige Führungskraft zu einem derartigen Dialog die Initialzündung geben und den Dialog anschließend weiter vorantreiben und begleiten. Ein auf die Zukunft der Zusammenarbeit ausgerichtetes metakommunikatives Teamgespräch (das hier gegebene Beispiel arbeitet am Thema Führungsstil, ist aber gut auf Zusammenarbeit/erfolgsorientierte Kooperation zu adaptieren) zeigt, wie so ein souveräner Gesprächsimpuls aussehen kann.